BERLINER ERKLÄRUNG ZUR DIGITALISIERUNG IN DER MEDIZIN

Datenschutz hat auch Nebenwirkungen: Wieviele Tote der COVID19-Pandemie wären vermieden worden, wenn man Infizierte oder digital hätte tracken können!
Prof. Dr. Michael Hallek, Köln

Die Digitalisierung ist zentraler Baustein bei der Verwirklichung einer Vision Zero in der Krebsmedizin. Jetzt braucht es einen konkreten Digitalisierung-Masterplan, mit dem dieses Ziel zeitnah verwirklicht werden kann. Der vom Verein Vision Zero ins Leben gerufene e-health summit, an dem sich zahlreiche Firmen aus der forschenden Industrie beteiligen, will dazu einen zentralen Beitrag leisten. Der eHealth Summit hat in den zurückliegenden Monaten eine Berliner eHealth Erklärung erarbeitet, die hier zum ersten Mal veröffentlicht und mit Patientenvertretern diskutiert wird. Sie zielt auf ein intelligentes Digitalisierungskonzept mit hoher Datenverfügbarkeit sowie optimaler Datenqualität, damit Patient:innen mit Krebs besser und sicherer behandelt werden können. Die Initiatoren freuen sich über Anregungen und Diskussionsbeiträge!

IM MITTELPUNKT STEHT DER MENSCH. 

Sichere Datennutzung zur Verbesserung der Versorgung und zur Stärkung des Innovations- und Wirtschaftsstandortes

1 /  MEDIZINISCHE FORSCHUNG, PATIENTENVERSORGUNG & GESUNDHEITS-WIRTSCHAFTBRAUCHEN EINEN GEMEINSAMEN RAHMEN

Medizinische Daten haben enormes Potential, Verfahren und Produkte für die Prävention, Früherkennung, Diagnose und Therapie von Krebs zu verbessern.

Dazu muss ein Umdenken weg von realitätsferner Datensparsamkeit hin zu einem gestaltenden Datenschutz mit Datennutzung zum Wohle des Menschen erfolgen.

Die klaren und strengen Regeln der Datenschutz-Grundverordnung ermöglichen sowohl medizinische Versorgung als auch öffentliche und privatwirtschaftliche Forschung und Nutzung von Daten zum Wohle der Patienten. Andere Länder machen es vor (z.B. Finnland).


Handlungsempfehlung: Abstimmungskonzept mit Landesdatenschutzbehörden entwickeln

Der Gesetzgeber hat mit dem Instrument der federführenden Datenschutz- Aufsichtsbehörde für länderübergreifende Forschungsvorhaben eine stark vereinfachte Koordinierung der 16 Landesdatenbehörden ermöglicht (§ 287a SGB V). Diese Vorschrift gilt es umzusetzen. Im Zentrum einer informierten und verantwortungsbewussten Datennutzung und ihrer Beaufsichtigung müssen Datensicherheit, aber vor Allem auch im Gegensatz zur bisherigen Praxis der Schutz des Lebens und gesundheitlicher Nutzen des Einzelnen und der Gemeinschaft stehen. Datennutzung muss nach pragmatischen und ressourcenschonenden Kriterien geschehen, um neue Chancen für die Weiterentwicklung der Versorgung zu eröffnen.

2 / GESUNDHEITSDATEN TEILEN 

Viele Gesundheitsdaten entstehen bei der Behandlung von Patienten durch unser solidarisch finanziertes Gesundheitssystem. Sie sollten daher auch unter Wahrung der Vertraulichkeit und Datenschutzregeln sowohl von öffentlicher wie auch von privatwirtschaftlicher Forschung genutzt werden können, um solidarisch den medizinischen Fortschritt im Sinne der Gesellschaft voranzubringen.


Handlungsempfehlung: „Code-of-Conduct

Patienten stellen Ihre Daten zur Verfügung, um sich selbst und anderen Patienten zu helfen, und nicht um Andere zu bereichern. Ein „Code-of-Conduct“ schafft als freiwilliges Regelwerk einen transparenten Rahmen für die Nutzung der Daten durch alle Stakeholder auf nationaler und EU-Ebene und stärkt damit das Vertrauen der Bürger in die Digitalisierung der Medizin.

3 / SELBSTBESTIMMUNG WAHREN

Patientinnen und Patienten müssen selbst über die Verwertung ihrer Gesundheitsdaten entscheiden können. Deswegen müssen diese teilbar und auswertbar sein, also in strukturierten und interoperablen Formaten mit hoher Qualität zur Analyse oder Nutzung zur Verfügung stehen.

Handlungsempfehlung: „Broad-Consent

Die informationelle Selbstbestimmung der Patienten wird dadurch geschützt, dass die Datenverwendung nie gegen die Interessen oder das Wohl des Patienten erfolgen darf. Soweit eine Einwilligung der Betroffenen erforderlich ist, bietet sich dafür das Broad-Consent Modell der Medizin Informatik Initiative an.
Dies sollte im Rahmen eines opt-out Verfahrens umgesetzt werden, bei dem der Bürger festlegt, welche Daten nicht zu Forschungszwecken geteilt werden sollen und wie er/sie ggf. die Ermächtigung zur Datennutzung widerrufen kann. So wird aus den bereits jetzt zu einem Großteil digital vorliegenden Daten im Gesundheitssystem ein zuverlässiger, vollständiger und damit für Patienten selbst und ihre Versorgung nützlicher Datensatz, der auch zukunftsfähige, patientenfreundliche Forschung erlaubt.

 

4 / FORSCHUNG ERMÖGLICHEN – DATENNUTZUNG & DATENZUGANG

Durch die Möglichkeit, Daten auf allen Ebenen für die Weiterentwicklung der Medizin zu nutzen (lernendes Gesundheitssystem) können Innovationen schneller und besser entwickelt und in die Regelversorgung integriert werden.
Es ist daher in einem solidarischen Gesundheitswesen ethisch geboten Daten auch zu nützen, nicht nur zu schützen.


Handlungsempfehlung: industrielle Gesundheitswirtschaft

Wir empfehlen den Zugang zu medizinischen Daten auf solche Unternehmen zu beschränken bei denen die Entwicklung und das Inverkehrbringen von Medizinischen Produkten spezifisch geregelt und überwacht wird (Diagnostika, Arzneimittel, medizinische, digitale Produkte). Dies gilt insbesondere für Vorgänge mit persönlich identifizierbaren Daten. Die Speicherung digitaler Gesundheitsdaten oder die Verarbeitung personalisierter Daten sollte Unternehmen nur unter entsprechend strikten Auflagen gestattet sein.

Dabei muss eine Weitergabe-Verpflichtung von anonymisierten Daten für Forschungszwecke zwischen den zur Datenverarbeitung autorisierten Organisationen bestehen. Es darf kein Vorteil durch Vorenthalten von Gesundheitsdaten gegenüber anderen entsteht. Es sollte kein signifikanter wirtschaftlicher Nutzen durch die reine Weitergabe von Daten entstehen, sondern erst durch die innovative Nutzung der Daten, z.B. durch die Strukturierung von Daten oder die Generierung von Sekundärdaten aus Rohdaten.

5 / INFRASTRUKTUR ETABLIEREN

Für die Verarbeitung von Gesundheitsdaten muss eine öffentliche Infrastruktur mit nachhaltiger Ressourcenausstattung zur Verfügung stehen. Diese muss flächendeckend und EU-kompatibel entwickelt werden.

Handlungsempfehlung: Vernetzung zentraler und verteilter Datencluster

Aufbau einer Institution im Sinne eines Forschungsdatennetzes. Um den Innovationsprozess und Wettbewerb zu fördern, sollten bis zum erfolgreichen Aufbau des Forschungsdatennetzes bereits parallele Datenbankcluster ermöglicht werden, die von Kliniken, Forschungsverbünden, klinischen Fachgesellschaften, Industrieunternehmen, oder in einer Kooperation zwischen mehreren dieser Akteure betrieben werden.

Es muss sichergestellt werden, dass die Daten aus bereits bestehenden Datenbanken im Sinne der Vernetzbarkeit perspektivisch auch im Forschungsdatennetz genutzt werden können. Da die Mehrfachnutzung ein wesentliches Merkmal von digitalen Daten ist, können mit dem gleichen Datensatz sowohl die ursprüngliche Fragestellung beantwortet als auch das Forschungsdatennetz informiert werden. Über das Forschungsdatennetz lassen sich nach spezifischen Kriterien Daten aus den Datenbanken in die Forschungsdatenbank importieren und nach gesetzlich geregelten „Nutzerkriterien“ von den Akteuren verwenden.

6 / VERSORGUNG VERBESSERN 

Unser gemeinsames Ziel ist ein lernendes und sich ständig verbesserndes Gesundheitssystem, welches eine ergebnisorientierte und sichere Versorgung für alle Patienten sicherstellt. Dieses Ziel erfordert die Nutzung der Gesundheitsdaten zu einer zeitnahen Umsetzung qualitätssichernder und neuer präventiver, diagnostischer und therapeutischer Lösungen.


Handlungsempfehlung: Produkte entwickeln und Wissen teilen

Die Nutzung von „Real World Daten“ für die akademische und privatwirtschaftliche Forschung erfolgt mittels anonymisierter und pseudonymisierter Gesundheitsdaten unter Wahrung aller gesetzlichen Regelungen, um neue Arzneimittel, Medizintechnologien oder datenbasierte Gesundheitsprodukte rasch in die Versorgung zu bringen. Wir verpflichten uns, unser erworbenes Wissen (z.B. auch in Form von Daten) und unsere Technologien für die nichtkommerzielle Erforschung zur Verbesserung der Versorgung und im Sinne der Patientensicherheit zu teilen.

7 / VERTRAUEN SCHAFFEN

Die digitale Verarbeitung von Gesundheitsdaten ist in Deutschland noch mit Ängsten und Unklarheiten behaftet. Deswegen müssen sowohl Geber und Nehmer wissen, dass klare Regeln und höchste Sicherheitsstandards bei der Nutzung von Gesundheitsdaten zur Anwendung kommen.


Handlungsempfehlung: Kompetenzaufbau der Bürger*innen

Um eine bewusste Entscheidung von Bürgern zu ermöglichen, muss ein entsprechender Kompetenzaufbau durch geeignete Informationskampagnen gewährleistet sein. Die Aus- Weiter- und Fortbildung muss unter dem Aspekt der veränderten Wissens- und Informationssituation neugestaltet werden. Die Stärkung des Kompetenzaufbaus für den Umgang mit Daten kann dabei beispielsweise in Schule, Lehre, Fachausbildung und sonstiger Aus-, Weiter- und Fortbildung erfolgen.

WER WIR SIND – AUTOREN DER „BERLINER ERKLÄRUNG“ 

Die Teilnehmer des Vision Zero E-Health Summit sind sich der Sensibilität und Wichtigkeit von Gesundheitsdaten und ihrer besonderen Verantwortung bei der Entwicklung von neuen medizinischen Verfahren, Medikamenten und Gesundheitsangeboten bewusst und haben weitreichende Erfahrungen über die Rolle, Wichtigkeit und Sensibilität von Gesundheitsdaten. Wir sehen uns und unseren Beitrag als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Initiative. Uns motiviert eine große Bereitschaft eigene Beiträge in Form von Inhalten, Daten und Ressourcen zu leisten.

 

 

Download Berliner Erklärung als PDF

LISTE DER UNTERSTÜTZER DER BERLINER ERKLÄRUNG

  • Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.
  • Amgen GmbH
  • AstraZeneca GmbH
  • Ausschuss „industrielle Gesundheitswirtschaft“ des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI)
  • Prof. Dr. Florian Bassermann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III der TU München, Hämatologie/Onkologie
  • BAYER Vital GmbH 
  • Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt, Direktor der Medizinischen Klinik III des LMU Klinikums, Stv. Standortsprecher Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)
  • Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA
  • Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e.V.
  • Prof. Dr. Mascha Binder, Direktorin Hämatologie und Onkologie Universitätsklinikum Halle
  • Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
  • Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO)
  • Juliana und Prof. Dr. Dr. Christian Dierks, Dierks + Company
  • Dr. Werner Eberhardt, Global Head of SAP
    Health at SAP für die SAP SE
  • Prof. Dr. Roland Eils, Gründungsdirektor des Center for Digital Health an BIH/Charité
  • Prof. Dr. med. Hermann Einsele, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Würzburg
  • GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG
  • Prof. Dr. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin und CIO Aachen Bonn Köln Düsseldorf
  • Dr. med. Ruth Hecker, Chief Patient Safety Officer, Universitätsmedizin Essen
  • Prof. Dr. med. Christof von Kalle, BIH-Chair für Klinisch-Translationale Wissenschaften, Direktor des Klinischen Studien-zentrums von Charité und BIH
  • Prof. Dr. Heyo Kroemer, Vorstandvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • Prof. Dr. Claudia Lengerke, Direktorin Hämatologie und Onkologie Universitätsklinikum Tübingen
  • Prof. Dr. Markus Lerch, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität
  • Prof. Dr. med. Diana Lüftner, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie
  • MSD Sharp & Dohme GmbH
  • Claudia Liane Neumann, Patientenvertreterin
  • Novartis Pharma GmbH
  • Pfizer Pharma GmbH
  • Dr. Georg Ralle, Mitglied des Vorstandsund Generalsekretär Vision Zero e.V.
  • Roche Pharma AG
  • Prof. Dr. Thomas Seufferlein,Universitätsklinikum Ulm, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin I
  • Bärbel Söhlke, Patientenvertreterin
  • Han Steutel für den Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)
  • Prof. Dr. Sylvia Thun, BIH Charité Berlin
  • Vision Zero e.V., Berlin
  • Prof. Dr. Otmar D. Wiestler für die Helmholtz-Gemeinschaft
  • Prof. Dr. Jürgen Wolf, Uniklinik Köln, Ärztlicher Leiter des CIO

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